Aktien sind das neue Sparbuch
Junge Leute gehen ihre Zukunft mit Optimismus an. Sorgen machen sie sich aber um ihr Leben im Alter. Die aktuelle MetallRente Jugendstudie bestätigt das hohe Problembewusstsein der jungen Erwachsenen und ihren realistischen Blick auf Finanzen und Vorsorge. Die Herausgeber der Studie Klaus Hurrelmann, Heribert Karch und Christian Traxler im Gespräch.
Das Versorgungswerk MetallRente legt jetzt seine fünfte Jugendstudie vor. Was ist Ihr Fazit?
Karch: Die Rentenreform vor über 20 Jahren sollte die zusätzliche Vorsorge stärken, um Absenkungen in der gesetzlichen Rente auszugleichen. Man muss aber ganz nüchtern feststellen: Die Reform hat die Mehrheit der jungen Leute nicht erreicht! Das belegen alle Studien, die wir in den letzten 12 Jahren durchgeführt haben. Heute sparen 51 Prozent der 17- bis 27-Jährigen für ihr Alter. Aber regelmäßige Altersvorsorge betreiben nur 37 Prozent. Gleichzeitig wächst bei den jungen Erwachsenen die Angst vor Altersarmut. Ihr Ruf nach Lösungen des Rentenproblems ist deutlich lauter geworden.
Wie bewerten junge Leute die Rentenpolitik?
Karch: Die gesetzliche Rentenversicherung und die betriebliche Altersversorgung genießen bei den jungen Leuten weiterhin großes Vertrauen. Das ist aber gepaart mit einer misstrauisch-pessimistischen Anspruchshaltung gegenüber der Praxis der Rentenpolitik. Denn der Staat „liefert nicht“. Aber 9 von 10 Jugendlichen finden, er könnte liefern, wenn er nur wollte – ein alarmierendes Misstrauensvotum.
Worin sehen Sie die Versäumnisse?
Karch: Seit 20 Jahren setzt die Politik auf ein mehrstufiges Modell mit privaten Sparbeiträgen für die die Budgets insbesondere in den jüngeren Privathaushalten gar nicht vorhanden sind. Es fehlen 40 bis 50 Prozent Nicht-Erreichte – oder besser: auf die bisherige Weise Nicht-Erreichbare. Und da wo gespart wird, ist die Höhe oft unzureichend. Die Menschen mit dem höchsten Risiko werden am schlechtesten erreicht. Laut OECD-Zahlen geraten wir gegenüber unseren Nachbarländern im Hinblick auf Alterssicherung ins Hintertreffen und verlieren Wettbewerbsfähigkeit um qualifizierte Arbeitskräfte. Wir können den Erwartungen junger Menschen nicht mit immer neuen Modellen – etwa Staatsfonds etc. – Rechnung tragen, ohne die entscheidenden Finanzierungsfragen des Alters zu klären. Damit wäre das nächste Scheitern vorprogrammiert.
"Der Ruf nach Lösungen des Rentenproblems ist deutlich lauter geworden."
Heribert Karch
Zeigen sich Veränderungen beim Spar- und Vorsorgeverhalten der jungen Leute und ihren grundsätzlichen Einstellungen zur Vorsorge?
Hurrelmann: Das Sparverhalten der jungen Leute hat sich verändert. Erstmals haben sich bei ihnen Aktien und Fonds durchgesetzt. In den Studien davor spielte diese Sparform nur eine untergeordnete Rolle. Die Bereitschaft der jungen Generation zu renditeorientierten Geldanlagen steigt also sprunghaft an. Sie reagieren damit ganz rational auf das andauernde Niedrigzinsumfeld. Gleichzeitig haben sie hohe Erwartungen an den Staat, der seine Verantwortung wahrnehmen und für eine gute gesetzliche Rente sorgen soll. Das zeugt von einem hohen Problem- und Realitätsbewusstsein.
Traxler: Viele Trends unserer aktuellen Studie ähneln den Studienergebnissen aus der Zeit vor der Corona-Pandemie. Die Mehrheit der jungen Erwachsenen hat auch in der Zeit der Pandemie gespart. Die 17- bis 27-Jährigen investieren aber deutlich renditebewusster. Denn die junge Generation hat verstanden, dass auf sie eine Rentenlücke zukommt und dass sie selbst sparen muss – und zwar möglichst effektiv. Und das ist natürlich positiv.
Wie interpretieren Sie in diesem Zusammenhang die Antworten der jungen Generation, was ihre finanzielle Allgemeinbildung angeht?
Traxler: Als Ökonom freut es mich zwar, dass die jungen Leute in Aktien und Fonds investieren. Allerdings steht dies in Spannung zu der immer noch zu geringen finanziellen Allgemeinbildung. Nach der Selbsteinschätzung der jungen Erwachsenen ist insbesondere ihr Wissen über die Altersvorsorge schlecht. Das bedeutet aber auch, dass das Finanzverhalten der jungen Generation besser ist als ihr Wissen. Und das kann zum Problem werden! Denn beim Aktiensparen kann man auch viel Blödsinn machen. Die jungen Erwachsenen haben klare Anforderungen an Informationen zum Thema Altersvorsorge. In erster Linie erwarten sie, diese verständlicher vermittelt zu bekommen. Sie wollen in der Schule lernen, was sie an Basiswissen zu finanziellen Themen im Leben brauchen.
Die finanzielle Bildung hängt natürlich stark vom Elternhaus und dem Bildungshintergrund ab. Sehen Sie diesbezüglich bei den jungen Leuten eine soziale Spaltung?
Traxler: Die junge Generation ist in der Tat in vielerlei Hinsicht heterogen. Da gibt es die, die schon in jungen Jahren sparen können und diejenigen, die kein Geld für die Vorsorge haben. Da kommen einerseits junge Menschen aus „guten“ Familien. Diese Familien können ihr ökonomisches Potenzial und Wissen an die nächste Generation weitergeben. Andererseits ist dies alles bei ökonomisch schlechter gestellten jungen Leuten nicht der Fall. Das verschärft die Lage junger Erwachsener in schlecht bezahlten Jobs und vertieft die Spaltung der Gesellschaft.
"Das Finanzverhalten der jungen Generation ist besser als ihr Wissen."
Prof. Dr. Christian Traxler
Könnte eine automatische Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung durch das sogenannte Opting-out zu höheren Altersbezügen und geringerer Altersarmut führen?
Traxler: Auf jeden Fall! Es zeigt sich, dass die junge Generation bereit ist, solche Automatismen mitzutragen. Für junge Leute ist es kompliziert, eine Entscheidung über die Altersvorsorge zu treffen, die für sie erst in etwa 40 Jahren aktuell wird. Eine Default-Regel in der betrieblichen Altersversorgung – also eine Voreinstellung für ein automatisches Sparen im Unternehmen mit der Möglichkeit, zu widersprechen – macht das einfacher. Deshalb findet eine solche Möglichkeit auch eine hohe Akzeptanz bei den jungen Erwachsenen. Das ist wie bei einem Restaurant, das hunderte von Pizzen im Angebot hat. Auch das überfordert die Gäste. Aus wenigen Pizzen auswählen ist einfacher.
Wie bewerten Sie die Unterschiede in der Vorsorge von Frauen und Männern? Was muss sich dort tun?
Hurrelmann: Nur 29 Prozent der jungen Frauen sparen regelmäßig für ihr Alter, während dies bereits 45 Prozent der jungen Männer tun. Es scheint immer noch so zu sein, dass mehr Männer als Frauen das Problem nicht nur erkennen, sondern auch handeln. Am politischen Interesse liegt das nicht, wie die Klimabewegung zeigt. Hier dominieren ja Frauen. Wahrscheinlich hat das Sparverhalten mit der althergebrachten Frauenrolle zu tun, in der Frauen von der Berufstätigkeit der Männer und deren Alterssicherung abhängig waren. Wir sehen, dass solche Rollenbilder immer noch vorhanden sind. In der Pandemie mussten sich junge Frauen zum Beispiel besonders um die Kinder kümmern. Ich gehe aber davon aus, dass sich solche Rollenbilder in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ändern werden.
Wie lassen sich die jungen Leute zwischen 17 und 27 aktuell charakterisieren? Hält der Trend zur Individualisierung an?
Hurrelmann: Ja! Die Neigung, im Hier und Jetzt leben zu wollen, verstärkt sich. 86 Prozent wollen ihr Leben genießen. Die Erwartung, eine Familie zu gründen, nimmt dagegen ab. Der Anteil derer, die das vorhaben, liegt aktuell nur noch bei 71 Prozent. 2010 waren es noch 83 Prozent. Die Familiengründung wird immer mehr eine individuelle Entscheidung.
"Junge Leute sind bereit, etwas für ihre eigene Zukunft zu tun - bei der Rente genauso wie beim Klima."
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann
Was lässt sich insgesamt über die Zukunftserwartung der jungen Generation sagen?
Hurrelmann: Junge Leute sind sehr zukunftsorientiert und bereit, selbst etwas für ihre eigene Zukunft zu tun – beim Thema Rente genauso wie in der Klimafrage. Sie sind gewillt, ihr Verhalten zu ändern. Aber sie wissen auch, dass sie allein durch ihr individuelles Verhalten die Probleme nicht lösen können. Anders als bei der Klimakrise, die eine Protestbewegung ausgelöst hat, gibt es noch keine soziale Bewegung, die sich dem Thema Rente widmet.
Karch: Die Haltungen und Erwartungen der jungen Erwachsenen sind ein klares Zeichen dafür, dass wir sie bei der Altersvorsorge nicht länger alleine lassen dürfen. Wir brauchen einen neuen finanziellen Deal für das Alter, der durch das reine Bewerben privater Sparbeiträge nicht zu erzielen ist. Die betriebliche Altersversorgung kann 80 Prozent der deutschen Erwerbspersonen – über 33 Millionen Menschen – erreichen, wenn man es richtig anstellt. Staat und Betrieb sind damit das erfolgversprechendste Doppel zur Alterssicherung für praktisch alle Erwachsenen mit Erwerbsbiografie.
Die Herausgeber der Studie
Prof. Dr.
Christian Traxler
Professor für Ökonomie an der Hertie School of Governance. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fragestellungen aus der Verhaltensökonomie und der Finanzwissenschaft. Dabei evaluiert er u. a. die Wirksamkeit von Nudging und anderen alternativen Politikansätzen.
Prof. Dr.
Klaus Hurrelmann
Senior Professor für Bildungs- und Gesundheitsforschung an der Hertie School of Governance in Berlin. Ein Forschungsschwerpunkt von ihm liegt in der strategischen Verbindung von Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik.
Heribert Karch
Als Leiter der Abteilung Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall war er maßgeblich am Gründungsprozess des Versorgungswerks MetallRente beteiligt und bis 2021 Geschäftsführer dieser gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien Gesamtmetall und IG Metall.